Mittwoch, 19. April 2006

Die Theorie der Praxis

Wenn Forscher versuchen zwischenmenschliche Beeinflussungen zu erklären, dann bekommt das für den Praktiker oft skurrile Auswüchse. Hier wird in den verschiedenen Abhandlungen nicht nur versucht zu erklären, warum und wie die einzelnen Therapien funktionieren, sondern es wird auch versucht sie einander gegenüber zu stellen um die Frage zu klären ‚Welche Behandlung ist bei welcher Störung die zielführendste Therapie?‘. Ein Unterfangen, das nur in Ansätzen gelingen konnte, blendet es doch die Persönlichkeit (Stärken/ Schwäche) des Therapeuten vollkommen aus, wenn man zu einem objektiven Ergebnis gelangen will. Damit klammert man aber auch die Parakommunikation vollkommen aus (Rapport, leading u.ä.), welche aber für den Erfolg einer Sitzung keineswegs unwesentlich sind.
Für Menschen, die sich beruflich mit Psychotherapie befassen ist dieses Werk sicherlich eine gute Anregung, wenn sie daran interessiert sind, sich und ihre Arbeit zu bewerten und zu strukturieren. Für die Arbeit in der Praxis bietet es nur wenig bis keine Anregungen, aber das war offensichtlich auch nicht das Ziel.
HOCHGERNER M.(HG.): „Was heilt in der Psychotherapie?“
Facultas/ 2000/ 3-85076-442-7

Sonntag, 16. April 2006

Ein Diener vor all den katholischen Nazis

Inmitten der unüberblickbaren Gebirge voll beschmiertem Papier gibt es immer wieder, wenngleich auch äußerst selten, jene Bücher, die gleich versteckten Juwelen, notwendig waren. Bücher, ohne die die Menschheit ärmer wäre. Bölls „Ansichten eines Clowns“ ist so ein Juwel.
Verständlich, dass dieses Buch große Ablehnung erfuhr, als es in der Mitte des 20. Jahrhunderts erschien. Jeder Kathole mußte sich angegriffen fühlen. Und die Männer an den Hebeln der Macht, denen manchmal, in den grauen Morgenstunden, ihre Verbrechen in der NS-Zeit für kurze Sekunden die Fältchen der Nachdenklichkeit auf die Stirn trieben, mußten peinlich berührt sein. Dabei spricht hier nur ein gedemütigter und betrunkener Clown, der die Welt nicht mehr versteht, weil ihn seine Partnerin verlassen hat. Der als Clown kein Künstler sondern nur Handwerker sein will und der nun vor den Trümmern seiner Existenz steht. Und dafür macht er Gott und die Welt verantwortlich. Nein, nicht Gott und nicht den Papst, die sind nur von den Bonner Katholiken falsch informiert worden. Aber er wird ihnen schon die Wahrheit erklären.
Trotz allem bleibt dieses Buch ein blanker Spiegel Gesellschaft der 60iger Jahre in Deutschland. Einer Gesellschaft, die man nicht vergessen sollte. Die man nicht vergessen darf, wenn man die Gegenwart verstehen will.
BÖLL Heinrich: „Ansichten eines Clowns“
dtv/ 1967/ 3-423-00400-2

Montag, 3. April 2006

Mein lieber Postmeister!

Was da abgeliefert wurde, verehrter Autor, das ist schon ein nettes Stück Arbeit, was da abgeliefert wurde. Und man kann wirklich sagen, dass es abgeliefert wurde, weil es ja gedruckt wurde, und weil es ja im Buchhandel erhältlich ist, und weil man es bestellen kann, also käuflich erwerben und bei sich zuhause in Regal stellt und vielleicht auch einmal liest. Also lesen sollte man es schon. Zumindest einmal. Ja, mein lieber Autor, ich empfehle wirklich es zu lesen. Viel besser wäre es natürlich, man bekäme Dein Werk vorgelesen. Am Besten in tiefster bayrischer Mundart! Weil nämlich, dann versteht man die Melodie der Sprache gleich viel besser.
Denn eines ist nach der Lektüre auch denen klar, die nicht mehr daran glauben wollten: Niederbayern gibt es wirklich!
Alois BRANDSTETTER „Zu Lasten der Briefträger“
dtv / 2000 / 3-423-10694-08

zulastender

Sonntag, 26. März 2006

T.H.WHITE: „Das Buch Merlin“

White ist Zeitgenosse von Tolkien und (somit) einer der Erfinder der Fantasy. Doch im Gegensatz zu seinem berühmten Kollegen erfindet er nicht eine eigene Welt (Mittelerde) sondern läßt seinen Artus-Zyklus gerade in dieser Welt spielen. Und Mordred wird in seiner Einstellung mit einem Nazi verglichen, soziale Strukturen aller Adler und Freud werden offen zitiert, Gedanken über die Gehirnstruktur von Ameise, Wildgans und Mensch werden vergleichend gezogen – alles in allem sicherlich kein Buch, wie es sich der Fantasy-Fan wünscht.
Sehr viel eher hat man hier ein psychologisch-soziale Abhandlung über Artus, Merlin und diese ganze Legende in der Hand. Und das ist, für den Interessierten, mindestens ebenso spannend.

Donnerstag, 16. März 2006

Fabel - Haft

Steinalt sind die Geschichten des alten Griechen, wirklich schon sehr alt – aber trotzdem beiweitem aktueller als vieles andere, das sonst so in den Regalen dämmert.
Kurz, prägnant und oft witzig werden Wahrheiten serviert, die, genauer besehen, oft gar nicht so witzig sind. Aber immer (und immer wieder) lesenswert.
Für meinen Geschmack allerdings hätte man die später hinzu gefügten Absätze mit der „Moral von der Geschicht‘“ ruhig weglassen können. Es kann nichts schaden, wenn man selber ein wenig darüber grübelt. Aber man muß sie ja nicht lesen.

Sonntag, 5. März 2006

CAMILLERI Andrea: "Hahn im Korb"

Dieses Buch ist genau richtig für die kalte Jahreszeit, denn es vermittelt echt sizilianisches Lebensgefühl.
So irgendwie hat man den Eindruck, nichts würde geschehen, obwohl sich die Ereignisse doch überschlagen. Unbeeindruckt und doch hin und her gerissen werden die handelnden Personen in ihrer Handlungsunfähigkeit tiefer und tiefer in den Strudel der unausweichlichen und doch immer fast monoton gleichen Geschichten gezogen. Denn: „Schuld ist immer eine Frau.“
So einfach kann man es sich machen. Und wer etwas anderes behauptet, der ist kein Sizilianer. Und er ist sehr schnell tot!

Sonntag, 5. Februar 2006

GOLD Mark: "Alexanders Abschied"

Ein sinnloser Mord in einer kleinen Stadt. Ein Opfer, ein Täter, ein Kommissar. Wie einfach wäre das Leben – würde nicht Karl Meixner, Freund des Opfers und selbst Ermittler, beginnen Fragen zu stellen. Scheint doch jedermann begierig zu sein, den Fall möglichst ohne Aufsehen unter den Tisch zu kehren. So kehrt er in die enge Stadt seiner Jugend zurück, die er zu vergessen suchte. Zu Menschen, die ihn nicht vergessen haben, ihm aber vieles verschweigen. Weil es zu vieles gibt, worüber man nicht spricht. Oder selbst nicht wahrhaben will. Zumal sich hinter jeder Tür ein neuer Verdächtiger, ein neues Motiv ergibt. War doch der Ermordete selbst ein Meister der Manipulation und der doppelten Böden.
Mark Gold beginnt in seinem ersten Roman eine Gradwanderung zwischen kleinbürgerlicher Wiener Unterwelt, Geheimdiensten und kauzig, verschrobener Waldviertler Schlitzohrigkeit. Seine Charaktere wirken auf den ersten Blick bekannt, später skurril und dann doch vertraut. Doch er wandert nicht nur auf dem Grad zwischen Stadt und Land, zwischen internationalen Konflikten und Hinterzimmergaunereien. Er begibt sich auch auf den mystischen Grad zwischen der Realität und der Inneren Welt der Menschen, in der Vernunft wenig gilt und sich Erfahrungen und Ahnungen auftun, die weit jenseits aller Schulweisheit liegen.

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